Die Filmstarts-Kritik zu Joker 2: Folie À Deux (2024)

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

Bis er vor wenigen Wochen von „“ überholt wurde, war „Joker“ mit einem weltweiten Einspielergebnis von mehr als einer Milliarde Dollar der erfolgreichste R-Rated-Film (also mit einer US-Freigabe ab 17 Jahren) aller Zeiten. Außerdem gab es den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig sowie elf (!) Oscar-Nominierungen, darunter zwei Siege für den Besten Hauptdarsteller und den Besten Score. Und all das für ein superdüsteres Comic-Charakter-Drama, das sich größtenteils um den mentalen Zustand seines potenziell schizophrenen Protagonisten dreht und dazu mit 55 Millionen Dollar auch noch erstaunlich günstig war. Kein Wunder also, dass Joaquin Phoenix und „Hangover“-Regisseur Todd Phillips für die Fortsetzung „Joker 2: Folie À Deux“ einen Freifahrtschein im Wert von kolportierten 200 Millionen Dollar (der Filmemacher selbst sagt, es sei weniger) erhalten haben.

Natürlich hätte ohne diesen Sensationserfolg im Rücken kein Studio der Welt grünes Licht dafür gegeben, dem Sequel einen so prätentiösen, alles andere als selbsterklärenden Untertitel wie „Folie À Deux“ zu verpassen. Und auch bei der Entscheidung, aus der Fortsetzung zumindest teilweise ein Jukebox-Musical mit 60 Jahre alten Songs zu machen, dürften sich einige Studioverantwortliche die Haare gerauft haben. Aber die Troll-Moves sind mit dem Titel und dem Genre noch längst nicht zu Ende: „Joker 2“ macht mit der Einführung von Lady Gaga als angepasste Version der Comic-Figur Harley Quinn ein Versprechen, das er aber absolut nicht gewillt ist einzulösen. „Folie À Deux“ ist stattdessen ein durchweg deprimierender und gnadenloser Abgesang auf alles, was am ersten Teil oder allgemein dem Joker als Figur der Popkultur ikonisch ist. Das ist in seiner Konsequenz bewundernswert, wenn leider auch nicht immer sonderlich unterhaltsam.

Die Filmstarts-Kritik zu Joker 2: Folie À Deux (1) Warner Bros.

Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) wartet nach dem Mord an fünf Menschen, einem davon vor laufenden TV-Kameras, im Knast auf seinen Prozess. Seine Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener) setzt alles daran, zu beweisen, dass ihr in seiner Kindheit missbrauchter Mandant schizophren ist. Sie will den Jurymitgliedern klarmachen, dass nicht Arthur, sondern Joker die schrecklichen Taten begangen hat. Arthur selbst wird durch die zwangsverordneten Medikamente allerdings von Tag und zu Tag immer phlegmatischer. Die Zeiten, in denen er sich von den Wächtern durch das Erzählen von Witzen Zigaretten geschnorrt hat, sind vorüber.

Weil er schon länger nicht mehr auffällig geworden ist, schleppt Gefängniswärter Jackie Sullivan (Brendan Gleeson) ihn als Belohnung zu einer Musiktherapiestunde – und da geschieht es: Als sich die Blicke von Arthur und Harley Quinzel (Lady Gaga) das erste Mal treffen, ist es augenblicklich um beide geschehen! Speziell Arthur ist sich sicher, endlich seine Seelenverwandte getroffen zu haben. Und während seine Anwältin weiterhin auf die Unzurechnungsfähig-Karte setzt, gibt Harley ein Interview nach dem anderen, um die Welt vom Joker zu überzeugen und seine Anhängerschaft für den bald startenden Prozess zu mobilisieren…

Geteilter Wahn ist doppelter Wahn

Todd Phillips' hat kürzlich in einem Interview auf die Kritik am stark gestiegenen Budget des DC-Sequels reagiert: Man solle doch froh sein, dass er einem multinationalen Konzern 200 Millionen aus den Rippen geleiert habe, um sie stattdessen an die Kreativen und Arbeiter am Set verteilen zu können. Und recht hat er! Zugleich fragt man sich aber schon, wo das ganze Geld denn hingeflossen ist? „Joker 2: Folie À Deux“ wirkt sogar noch eingehegter als der erste Teil, schließlich spielt die Fortsetzung fast nur noch im Gefängnis und im Gerichtssaal. Richtige Action-Sequenzen gibt es ebenso wenig wie aufwändige Musical-Choreografien: Die umgangssprachliche Bezeichnung für den französischen Fachbegriff „Folie À Deux“ lautet „Zwangsstörung zu zweit“ – und so geht es in den von Joker halluzinierten Duetts mit Harley Quinn ausschließlich um Intimität. Größere Tanznummern wären da tatsächlich fehl am Platze.

Statt auf großes Spektakel setzt Todd Phillips auch in seinem Musical wieder voll und ganz auf den hochwertigen, an New Hollywood gemahnenden Look seines „Hangover“-Kameramanns Lawrence Sher, der die meiste Zeit von einer Großaufnahme zur nächsten wechselt. Das verleiht „Joker 2: Folie À Deux“ trotz der beschränkten Sets eine gewisse Wucht und Größe, gerade weil man mit Gaga und Phoenix (geschminkt wie ungeschminkt) ja nun auch wirklich die richtigen Stars zur Hand hat, um sich gut zwei Stunden lang in ihren ausdrucksstarken Gesichtern zu verlieren. Die nach ihrer Oscar-Nominierung für „A Star Is Born“ sogar eher noch stärker gewordene Kritik am Schauspieltalent von Lady Gaga wirkt allerdings zunehmend unverständlicher. Schließlich zählt selbst ihr Auftritt in „House Of Gucci“ zu den vergnüglichsten Guilty Pleasures der vergangenen Kinojahre. Und auch in „Joker 2“ dominiert die Oscargewinnerin (für den Besten Song) augenblicklich die Leinwand, selbst wenn ihre Rolle insgesamt etwas kleiner ausfällt als von den meisten erwartet.

Die Filmstarts-Kritik zu Joker 2: Folie À Deux (2) Warner Bros.

Wer bei Harley Quinzel bzw. ihrem Comic-Alter-Ego Harley Quinn zunächst an Margot Robbie aus den beiden „Suicide Squad“-Filmen denkt, der wird sich speziell in den Musical-Sequenzen womöglich wünschen, dass doch mal ein knalligerer, popigerer Song kommt. Aber Pustekuchen – und das ist auch nur konsequent: Weil es sich um eingebildete Duetts handelt, ergibt es nur Sinn, dass vor allem Songs vorkommen, von denen auch Arthur Fleck selbst Fan sein könnte. Da wir aus dem ersten Teil wissen, dass sein Musikgeschmack vor allem in der Jugend durch die Mutter geprägt wurde, ging Regisseur Phillips und sein Team bei der Auswahl der Balladen also weit in der Zeit zurück – schließlich spielt „Joker“ wie der Vorgänger Anfang der 1980er-Jahre. Außerdem kehrt „Folie À Deux“ dem Ikonenstatus des Jokers vom Ende des ersten Films (erst mal?) den Rücken, wenn er von der losgetretenen Revolutionswelle doch wieder zur ursprünglichen Frage nach dem Geisteszustand seines Protagonisten zurückkehrt:

Die Taten aus „Joker“ werden nun vor Gericht verhandelt, wo Schauspieler*innen wie Zazie Beetz oder Leigh Gill für Cameo-Auftritte im Zeugenstand zurückkehren, um von ihren erlittenen Traumata zu berichten. Weil das aber inhaltlich wenig Neues bietet, zieht sich das vor allem zu Beginn aber mitunter ganz schön hin. Zumindest bis Arthur irgendwann entscheidet, seine Verteidigung – einer Entscheidung des Supreme Courts sei Dank: als Joker! – selbst zu übernehmen. Aber im Endeffekt sorgt das alles nur dafür, dass wir nach zwei Dritteln von „Joker 2: Folie À Deux“ ziemlich genau wieder an der Stelle angekommen sind, an der wir auch nach zwei Dritteln von „Joker“ schon waren. Nur dass Todd Phillips‘ von dort aus diesmal eine andere Abzweigung nimmt, womit er sicherlich nicht nur Harley Quinzel vor den Kopf stoßen wird.

Nur Downers, keine Uppers

Für mich, der mit dem ersten „Joker“ leider nicht so viel anfangen konnte, war das eine wahnsinnig erfrischende und erfreulich konsequente Entscheidung – deshalb gibt’s von mir für die Fortsetzung auch 1,5 Sterne mehr als für den Vorgänger. Meine Kollegen, die den ersten Film sehr viel lieber mochten, waren von der Fortsetzung hingegen enttäuscht – und das ist ja auch nur konsequent, schließlich erweist sich „Joker 2“ in gewisser Weise als genaues Gegenstück des Originals. „Folie À Deux“ ist ein Film, der eine Wirkung entfaltet, als würde man sich einen Downer nach dem anderen einschmeißen. Und so sehr man sich zwischendrin zur Abwechslung auch mal nach einem Upper sehnt, so sehr kann man eben auch bewundern, wie konsequent Todd Phillips seinen Weg ohne Rücksicht auf irgendwelche Erwartungen zu Ende geht. Wobei das mit mehr als einer Milliarde Dollar Einnahmen von „Joker“ im Rücken vermutlich auch gleich sehr viel einfacher fällt…

Fazit: Todd Phillips‘ hat bis zu 200 Millionen Dollar für ein Depri-Musical verballert. Ohne spektakuläre Action-Einschübe werden die Geschehnisse des ersten Teils größtenteils einfach noch mal neu vor Gericht verhandelt. Auch die eingestreuten Duette zwischen Joaquin Phoenix und Lady Gaga kommen ohne größeren choreografischen Aufwand daher. Zwei Stunden lang wartet man also gebannt auf den großen Knall, aber die Revolution ist abgesagt – und gerade das ist der beste Gag des Franchise. Wenn hier alle Erwartungen an den Film (speziell von Fans des ersten Teils) radikal unterlaufen werden, dann hätte zumindest der Joker mit Sicherheit seine helle Freude an diesem gewaltigen „FUCK YOU!“ gehabt. Jetzt bleibt abzuwarten, wie es wohl dem Publikum ergeht.

Wir haben „Joker 2: Folie À Deux“ beim Filmfest Venedig 2024 gesehen, wo er als offizieller Teil des Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.

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